In zwei Entscheidungen von Anfang 2022 hat der Bundesgerichtshof (Urteil vom 12.1.2022 – XII ZR 8/21, Urteil vom 16.2.2022 – XII ZR 17/21) klargestellt, dass Betriebsschließungen von Einzelhandelsgeschäften wegen Corona in der Regel nicht zu einem Mangel der Mietsache im Sinn von § 536 Absatz 1 BGB führen. Staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie, die zu einer fllächendeckenden Schließung bestimmter Geschäfte führen, begründen als solche keine Mietminderung. Allerdings geht der Bundesgerichtshof davon aus, dass solche Betriebsschließungen im Normalfall zu einem Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 Absatz 1 BGB führen. Ob sich daraus allerdings ein Anspruch auf Anpassung des Mietvertrags, insbesondere im Hinblick auf die Miethöhe ergibt, hängt von den Umständen des Einzelfalls (Umsatzrückgang, Kompensationsmöglichkeiten, staatliche Ersatzleistungen, Versicherungsleistungen) ab.
Kein Mangel der Mietsache, keine Mietminderung bei Betriebsschließungen wegen Corona
Der Bundesgerichtshof weist darauf hin, dass öffentlich-rechtliche Gebrauchsbeschränkungen und Gebrauchshindernisse, wie zum Beispiel Betriebsschließungen wegen Corona, nur dann einen Mangel der Mietsache im Sinn von § 536 BGB begründen können, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen und ihre Ursache nicht in persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters haben. Andere gesetzgeberische Maßnahmen fielen allein in den Risikobereich des Mieters. Wenn der Gewerbebetrieb des Mieters nachträglich durch gesetzgeberische oder behördliche Maßnahmen beeinträchtigt werde, sei das grundsätzlich nicht das Problem des Vermieters. Die mit den Betriebsschließungen wegen Corona verbundenen Gebrauchsbeschränkungen knüpften nicht an der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts an, sondern allein die Nutzungsart und den damit verbundenden Publikumsverkehr. Die Zugangsbeschränkung für den Publikumsverkehr stelle keinen Mangel der Mietsache dar, weil sie nicht objektbezogen wirke, sondern alle vergleichbaren Geschäfte in dem entsprechenden Bundesland betreffe.
Störung der Geschäftsgrundlage wird bei Betriebsschließungen wegen Corona vermutet
Nach § 313 Absatz 1 BGB kann eine Anpassung des Vertrags verlangt werden,
- wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsabschluss schwerwiegend geändert haben,
- wenn die Parteien den Vertrag bei Kenntnis dieser Veränderungen nicht oder nicht mit dem betreffenden Inhalt geschlossen hätten und
- soweit dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
Mit Gesetz vom 22.12.2020 wurde in Artikel 240 § 7 EGBGB die gesetzliche Vermutung statuiert, dass sich ein Umstand, der im Sinn von § 313 Absatz 1 BGB zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend geändert hat, sofern gemietete Gewerberäume infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind. Der Bundesgerichtshof weist ergänzend darauf hin, dass davon ausgegangen werden könne, dass die Parteien bei Vertragsschluss die Möglichkeit einer weltweiten Pandemie und deren Auswirkungen nicht mit bedacht hätten und dass der Vertrag in Kenntnis der Entwicklung nicht oder nicht mit dem gegebenen Inhalt geschlossen worden wäre.
Kein Anspruch auf Vertragsanpassung allein wegen Betriebsschließungen
Ein Anspruch auf Anpassung des Vertragsinhalts (Miethöhe) unter Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage besteht allerdings nur insoweit, als das Festhalten an dem unveränderten Vertrag für den Mieter nicht zumutbar ist. Bei der Prüfung der Zumutbarkeit sind alle Umstände des Einzelfalls gegeneinander abzuwägen. Der Bundesgerichtshof hat folgende Gesichtspunkte hervorgehoben:
- Nachteile des Mieters durch die Geschäftsschließung und ihre Dauer, wobei bei gewerblichen Mietern regelmäßig auf den Umsatzrückgang im konkreten Mietobjekt (nicht im Konzern) abgestellt werden kann
- Maßnahmen, die der Mieter ergriffen hat oder hätte ergreifen können, um den Umsatzrückgang zu verringern oder zu kompensieren
- finanzielle Vorteile des Mieters in Form von staatlichen Unterstützungs- oder Versicherungsleistungen
Diese und ähnliche Umstände müssen in jedem Einzelfall festgestellt und gegeneinander abgewogen werden. Die Darlegungs- und Beweislast und das damit verbundene Risiko trägt der Mieter. Einer pauschalen Halbierung der Miete für den betroffenen Zeitraum, wie es das Oberlandesgericht Dresden (Urteil vom 24.2.2021 – 5 U 1782/20) in der Vorinstanz vorgenommen hatte, erteilte der Bundesgerichtshof eine ausdrückliche Absage.
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